Minden. Das Mindener Museum bewahrt rund 60 000 Objekte in seiner Sammlung auf. Wenn die im Aufbau befindliche Dauerausstellung fertig ist, werden noch immer 95 Prozent der Objekte verborgen im Magazin lagern. Wie bereits mit den Kabinettausstellungen, möchte das Museumsteam die Vielfalt, die Geschichte und den Dokumentationsstand seiner Sammlung vorstellen. Im Rahmen des Projekts „Objekt im Fokus“ soll daher alle zwei Monate ein Objekt der Sammlung im Foyer des Museums ausgestellt und seine Geschichte erzählt werden.
Aus Anlass des Museumspädagogischen Angebots „Scriptorium- Das Mindener Museum wird zur Schreibstube“, zeigt das Museum in den Monaten März und April eine Schreibgarnitur. Leider ist nicht mehr rekonstruierbar, wann das Objekt in das Mindener Museum gekommen ist. Die Schreibgarnitur wurde als Teil der ehemaligen Dauerausstellung des Mindener Museums im sogenannten „Biedermeierzimmer“ präsentiert, das 1970 eingerichtet wurde. Es wurde angenommen, dass es sich bei der handgearbeiteten Garnitur um ein Stück aus der Zeit zwischen 1815 und 1830 handeln würde. Ein auf der Unterseite der Schreibgarnitur angebrachtes Etikett gibt jedoch den Hinweis darauf, dass die Schreibgarnitur rund 100 Jahre später in der Firma Carlos Zipperer Sobrinho in Brasilien entstanden sein muss.
Ob es sich bei dem Objekt in der Sammlung des Mindener Museums um ein frühes Reisesouvenir oder einen Exportartikel handelt ist leider ungeklärt. Umso spannender ist jedoch die Herkunft des Objektes, die erst heute mit Hilfe der Recherchemöglichkeiten des Internets erschlossen werden konnte.
Hintergrund des Objektes
Der Besitzer der Firma Carlos Zipperer Sobrinho war ein Nachkomme der ersten deutschen Einwanderer aus dem Böhmerwald, die 1873 per Schiff in die brasilianische Provinz San Caterina auswanderten.
Initiiert wurde die Einwanderung durch den damaligen Kaiser Dom Pedro II., einen Nachkommen des portugiesischen Königshauses. Er teilte jeder Familie 50 ha Land zu und hoffte dadurch, die bisher wenig erschlossenen Gebiete Brasiliens zu kultivieren.
70 Männer aus Böhmen folgten dieser Einladung und ließen sich mit Ihren Frauen und Kindern auf etwa 900 Metern Höhe am Fluß S ấo Bento del Sul nieder. Unter Ihnen befand sich auch der Großvater von Carlos Zipperer Sobrinho. Anton Zipperer war gelernter Zimmermann, der sich im Alter von 60 Jahren entschlossen hatte mit seinen sechs Kindern nach Brasilien überzusiedeln. Sein erster Sohn Josef Zipperer veröffentlichte 1913 ein Buch über die Anfangsjahre der Besiedlung mit dem Titel „Aus der Vergangenheit Sấo Bento, Brasilien“.
Carlos Zipperer Sobrinho gründete 1923 einen kleinen Betrieb mit der Idee, aus den Abfallprodukten der Holzindustrie Kunsthandwerk herzustellen. Aufgrund der technisch und personell begrenzten Ressourcen vor Ort, importierte er Bücher aus Deutschland um neue Herstellungsweisen zu lernen. Er bildete seine Angestellten in neuen Techniken auund reiste, um seine Produkte auch in anderen Provinzen Brasiliens verkaufen zu können.
Seine Kleinmöbel und das Kunsthandwerk wurden insbesondere von Touristen sehr geschätzt. Der wachsende Erfolg ermöglichte ihm ab 1950 in die USA, Deutschland, England und Japan zu exportieren. Da die verbreitete Verwendung von Kunststoff in den 1960er Jahren die Herstellung von touristischem Kunsthandwerk aus Holz unrentabel machte, stellte die Firma auf die Möbelproduktion um. Seiner Zeit voraus, führte er 1979 die Verwendung von Holz aus aufgeforsteten Wäldern ein.
Carlos Zipperer Sobrinho starb im Alter von 78 Jahren und hinterließ seiner Familie eine Firma, die auch heute noch zu den größten Möbelexporteuren Brasiliens zählt.