Nazis sind kaum noch zu erkennen

„Vergessen Sie die Springerstiefel“, mit dieser Aussage beginnt der Journalist Toralf Staud die Lesung am 10. Oktober im Kleinen Theater in Minden aus seinem in Zusammenarbeit mit Johannes Radtke verfassten Buch „Neue Nazis – Jenseits der NPD“. Medien nutzen seit vielen Jahren völlig veraltete Bilder von Springerstiefeln mit weißen Schnürsenkeln in ihren Berichterstattungen, doch dieses sei längst nicht mehr die gültige, jedoch weiterhin weit verbreitete Vorstellung vom Auftreten von Neonazis. Moderne Nazis tragen Kapuzenpullis und Baseballkappen, nutzen gerne englische Parolen und treten vermehrt in Sozialen Medien wie Facebook in Erscheinung. Gruppierungen wie die Autonomen Nationalisten (AN) locken gerade Jugendliche in ihre Reihen und vertreten dabei trotz ihres modernen Erscheinungsbildes weiterhin die gleichen rückwärtsgewandten Inhalte.

 

Auch das Thema Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) wird von Staudt ausgegriffen. Hier sei es besonders erschreckend, dass Experten des Verfassungsschutzes und andere Geheimdienste eigentlich wissen müssten wie Rechtextremisten zu erkennen sind, doch in der langen Geschichte des Rechten Terrors konnte vermehrt das Gegenteil beobachtet werden.

 

Trotz des Auffliegens der »NSU«-Terrorzelle werde die Gefahr weiter unterschätzt: Die extreme Rechte in Deutschland habe sich in den letzten Jahren zugleich radikalisiert und verbürgerlicht – und die emsige Verbotsdiskussion um die NPD lenke die Aufmerksamkeit in die falsche Richtung. Mit den »Autonomen Nationalisten« (AN) sei eine junge und äußerst gewaltbereite Neonazi-Strömung entstanden. Sie kopiere den popkulturellen Stil der Linksautonomen und biete Action, wirke anziehend auf Jugendliche. Dazu trage auch die rechte Musikszene bei. Anhänger der AN seien mehrfach mit Vorbereitungen zu Terroranschlägen aufgeflogen. Am gemäßigten Rand der Szene erstarken die Rechtspopulisten. Gruppen wie »Pro Deutschland« und »Die Freiheit« versuchen mit islamophoben Inhalten an nationalkonservative und bürgerliche Positionen anzuknüpfen – und »die Partei zum Sarrazin-Buch« zu werden. Zwischen diesen Polen wird die früher dominierende NPD womöglich zerrieben. Die neu entstandene AfD ist nach seiner Ansicht nicht als rechtsextreme Partei anzusehen, jedoch hält er eine rechtsaffine Tendenz sowohl inhaltlich als auch durch aus der rechten Szene hinüber gewechselten Mitglieder unverkennbar.

 

Im Anschluss an die Lesung entstand eine rege Diskussion, in der die Befürchtung der Unterwanderung der Gesellschaft in Zeiten sozialer Spaltung sowie Fragen zur Erscheinung und dem entgegnen potentieller rechter Bedrohungen ausführlich diskutiert wurden. Eine Antwort auf diese Gefahren wurde liegt auf der Hand: Es gilt die Demokratie selbst zu stärken und zivilgesellschaftliche Projekte zu fördern, damit aktiv ein Beitrag zu einer langfristig vielfältigen Gesellschaft geleistet werden kann.

 

Die Vortrags- und Diskussionsveranstaltung wurde in Zusammenarbeit mit der VHS im Rahmen des lokalen Aktionsplanes Minden durch das Bundesprogramm „TOLERANZ FÖRDERN – KOMPETENZ STÄRKEN“ des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert.

 

Weitere Informationen zur Vortrags- und Diskussionsreihe und den weiteren Terminen in diesem Jahr sind unter www.lap-minden.de zu finden.

 

Bildquellennachweis: K.-H. Ochs