Berlin. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) wirft der Bundesregierung bei vielen umweltpolitischen Fragen Teilnahmslosigkeit und Desinteresse vor. Nach Ansicht der Umwelt- und Verbraucherschutzorganisation vertritt die Bundesregierung mehrheitlich eher die Interessen der Wirtschaft als die der Bürgerinnen und Bürger. Für die DUH sind der ökologische Verbraucherschutz und der Klimaschutz nach Paris deshalb die zentralen Säulen ihrer Arbeit im kommenden Jahr. Im Rahmen ihrer Jahrespressekonferenz in Berlin präsentierte die DUH ihren aktuellen Jahresbericht und stellte die für die Organisation wichtigen Themen im Jahr 2016 vor.
„Die Manipulationen bei Volkswagen haben gezeigt, dass Schluss sein muss mit der ungezügelten Klientelpolitik. Die eheähnlichen Zustände zwischen der Automobilindustrie und den politischen Entscheidungsträgern in Deutschland müssen aufhören“, sagt DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch und ergänzt: „Gleichzeitig ist klar geworden, welchen Stellenwert umweltbezogener Verbraucherschutz bei der derzeitigen Bundesregierung genießt: Nämlich gar keinen. Frau Merkel, Frau Hendricks, Herr Gabriel und Herr Dobrindt sorgen sich mehr um das Wohl von Volkswagen, nicht aber um die Gesundheit der vom Abgasskandal betroffenen Bürger.“
Auch Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner kritisiert die Bundesregierung. Er sieht gerade wegen des Ausgangs der Weltklimakonferenz erhöhten Handlungsbedarf für die Energiewende in Deutschland. Zwar sei die Beharrlichkeit der deutschen Verhandler bei der Klimakonferenz in Paris, die mit zu den historischen Beschlüssen geführt hat, bewundernswert. Er warnt jedoch davor, weitere wichtige und grundlegende Entscheidungen für die Transformation hin zu einer kohlenstofffreien Zukunft weiter zu verzögern. „Die Bundesregierung muss sich an dem historischen Klimavertrag von Paris messen lassen. Den hehren Worten müssen nun konkrete Taten zu Hause folgen. Mit den bisher getroffenen Maßnahmen erreicht sie das selbstgesteckte Klimaschutzziel nicht.“
Nach Müller-Kraenners Auffassung muss die Bundesregierung 2016 bei den Klimaschutzbemühungen unbedingt nachlegen. „Deutschland muss raus aus der Kohle – und zwar so schnell und sozial verträglich wie möglich.“ Besonders kritisiert er den Umgang der Bundesregierung mit dem Thema Energieeffizienz. Es sei ein fataler Irrtum zu glauben, dass die Energiewende nur mit Reformen im Stromsektor gelingen könne. „Unsere bisherigen Anstrengungen in den Bereichen Wärme und Verkehr sind ungenügend“, so Müller-Kraenner weiter. Nötig seien ein Energieeffizienzgesetz und ein Klimaaktionsprogramm für 2030, das den Ambitionen von Paris und der Verpflichtung, die Deutschland gegenüber der Welt eingegangen ist, gerecht wird.
Müller-Kraenner kündigt außerdem an, die Naturschutzoffensive 2020 der Bundesumweltministerin durch zwei konkrete Kampagnen zu unterstützen. So dringt die DUH auf eine Nationale Stickstoffstrategie, um die Belastung von Grund- und Oberflächenwasser durch Nitrat zu senken und die Werte der EU-Trinkwasser-Richtlinie einzuhalten. „Landwirtschaft, Verkehr und die Kohleverstromung sind die Hauptquellen von Stickstoff in unserer Natur, unseren Gewässern und der Atemluft. Sie alle müssen einen Beitrag leisten, um die Stickstofflast dauerhaft auf ein gesundheitsverträgliches Niveau zu senken.“
Um einen Beitrag dazu zu leisten, die Artenvielfalt in Deutschland zu bewahren, wird die DUH im Jahr 2016 zwei neue Kampagnen zum Schutz des Schreiadlers und des Fischotters starten. Beide Arten stehen stellvertretend für die „Lebendigen Flüsse“ und „Wildnis heute“ – zwei langjährige DUH-Kampagnen zur Vernetzung bedrohter Naturräume.
Der Umgang mit dem VW-Skandal und das Vertragsverletzungsverfahren der EU gegen Deutschland wegen anhaltender Überschreitungen der Luftqualitätsgrenzwerte, beweisen für Resch einmal mehr, dass die Bundesregierung kein Interesse am Umweltschutz hat. „Das Kabinett Merkel ist ein Totalausfall in ökologischen Fragen. Die Liebe zur Wirtschaft, die bisweilen tun und lassen darf was ihr gefällt, ist nach wie vor ungebrochen. In Deutschland ist der Kunde nicht König und die Zeche zahlt am Ende die Umwelt. Das muss sich ändern und die DUH wird ihren Beitrag dazu leisten“, so Resch weiter. Dass die DUH als klageberechtigte Verbraucherschutzorganisation trotz eines laufenden Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland, die Einhaltung von Luftqualitätsgrenzwerten juristisch erzwingen muss, sei ein Armutszeugnis für die deutsche Umwelt- und Verkehrspolitik.
Als unrühmlich bezeichnet Resch den Umgang von Umweltministerin Barbara Hendricks mit dem Ausstieg von Coca-Cola aus dem deutschen Mehrwegsystem. „Für mehr als einen Brief an die Geschäftsführung des amerikanischen Getränkeriesen hat es nach deren Ankündigung zum Mehrwegausstieg nicht gereicht. Dabei steht nicht nur das umweltfreundliche Mehrwegsystem für Getränke auf dem Spiel, sondern mit ihm auch 145.000 Arbeitsplätze. Umweltministerin Hendricks muss endlich wirksamen Mehrwegschutz betreiben“, fordert Resch. Coca-Colas falsche Versprechungen zu den Umweltauswirkungen von Plastikflaschen und eine irreführende Kennzeichnung von deren Einweggetränkeverpackungen blieben genauso unbeanstandet, wie der Mehrwegausstieg. Erst durch das Eingreifen der DUH konnte die Verbreitung von falschen Umweltversprechungen gestoppt werden.