Minden. Aus Bronze ist er und schwer: der Mindener Stichling. Drei Exemplare der von Katja Hausmann-Seeger geschaffenen Skulptur stehen an diesem Samstagabend, 5. November, auf der Bühne im Stadttheater und warten auf die Vergabe an die Preisträger*innen. „Als ich 2008 die Auszeichnung bekommen habe, war ich überrascht, wie viel dieser wiegt – mindestens vier bis fünf Grimmepreise“, witzelte Moderator und Kabarettist Moritz Netenjakob zum Auftakt der Gala, die alle zwei Jahre zur Vergabe des städtischen Kabarettpreises dem Theater ein ausverkauftes Haus beschert.
Die gewichtige Auszeichnung der Stadt Minden, die seit 1994 vergeben wird, erhielten am 5. November 2016 Nils Heinrich und das Duo „Suchtpotenzial“. Der Sonderpreis zum 50. Geburtstag der „Stichlinge“ ging an den gebürtigen Kutenhauser und überzeugten Ostwestfalen Bernd Gieseking. Alle drei präsentierten Auszüge aus ihren aktuellen Programmen und boten zwei Stunden hochkarätige Unterhaltung. Der gut aufgelegte Moderator Moritz Netenjakob glänzte unter anderem mit zwei Variationen des Märchens „Hänsel und Gretel“ – einmal verpackt als Sportreportage, das zweite Mal als Ansage eines Flugkapitäns.
Nils Heinrich trat mit einer ungewöhnlichen Gitarre auf, die „gerade noch ein Klapprad war“. Nach dem ersten Song berichtet er, dass er wurde vielfach aufgefordert wurde, doch mal was zu Flüchtlingen zu machen. „Nur welche sind gemeint?“, fragt er sich. Die Tamilen und Vietnamesen, die in den 80er Jahren nach Deutschland kamen? Oder die Aussiedler*innen aus den osteuropäischen Staaten, die Mitte der 90er Jahre von Helmut Kohl eingeladen wurden? Oder doch die, die jüngst willkommen geheißen wurden? Die Frage bleibt offen. Sein neues Buch heißt: „Sei froh, dass du nicht Joghurt heißt“ und dazu brachte Heinrich dann auch eine Anekdote aus dem Alltag. Denn der Auftrag seiner Ehefrau, „mal eben“ einen Natur-Joghurt aus dem Biomarkt mitzubringen, gestaltete sich als große Herausforderung als er vor dem riesigen Regal steht.
Einen bleibenden Eindruck beim Mindener Publikum hinterließ auch das Duo „Suchtpotenzial“, das den Gruppen-Preis erhielt. Julia Gámez Martin (Gesang, Berlin) und die Ariane Müller (Piano, Schwaben) schlugen eine Brücke zwischen Rock ‘n Roll, Hip Hop und Kabarett, nahmen dabei auch „kein Blatt vor den Mund“. Die Disney-Lüge wird im ersten Stück auseinander genommen, dann sucht Julia Gámez Martin einen „Bauern zum Mann“. „Suchtpotenzial“ besticht mit gegenseitigen Provokationen und frechen Texten. Beide singen und sinnieren mit viel Ironie über den Alltag und das Frau-Sein. Das aktuelle Programm trägt den Titel „Programm „Alko Pop 100 Vol%“. Das machte vielen nach vorgegebenen 25 Minuten Programm Lust auf mehr. Am 1. März 2017 sind die beiden erneut im Stadttheater zu sehen und zu hören. Es gibt noch Karten.
Die 500 Zuhörer*innen im Saal und auf den Rängen hatte Lokal-Matador Bernd Gieseking schon zu Beginn seines Auftritts auf der Seite. Donnernder Applaus für seine Ausführungen zur Emotionsfähigkeit der hiesigen Bevölkerung: „Ja, wenn einer seine Gefühle zeigen kann, ist das der Ostwestfale!“ Kurze Pause und dann nach Stirnrunzeln im Publikum die Auflösung: „Allerdings gehen unsere Gefühle niemanden etwas an.“ Auch Erlebnisse mit seinen Eltern auf einer Finnland-Reise – aus dem Buch „Finne Dich selbst“ – nimmt er aufs Korn. Dann berichtet in einem Auszug aus seinem neuen Buch „Gefühlte 30“ von einem Klassentreffen, wo lauter scheinbar unbekannte Personen ihn herzlich begrüßten. Komisch! Am Anfang erwähnt der Kabarettist und Autor kurz, dass er seine Karriere bei den „Mindener Stichlingen“ begonnen hat, die Namensgeber des Preises sind. Seine Eltern nahmen ihn seinerzeit zu einem Auftritt ins Haus der Jugend mit. Wer hätte damals geahnt, dass aus einem anfänglichen Fan und späteren Amateur-Kabarettisten mal ein Profi und Preisträger wird? Wohl keiner! Umso mehr Applaus gab es für Bernd Gieseking.
Am Ende hatten dann Bürgermeister Michael Jäcke und Stichlings-Gründer Birger Hausmann ihren Auftritt. Bronzeskulpturen, Urkunde und Preisgeld wurden an die glücklichen Preisträger*innen überreicht. Mit einer Karte an einem Abend gleich vier Kabarettisten – das wird nicht oft geboten, aber eben alle zwei Jahre im Mindener Stadttheater. Wer an dem Abend nicht dabei war, kann die Preisverleihung am Samstag, 12. November, um 15.05 Uhr auf WDR 5 nachhören. Der Sender hat die Gala aufgezeichnet.
Das Preisgeld für den Solisten und die Gruppe – je 4000 Euro – stifteten erneut die beiden Sponsoren, die Unternehmensgruppe Melitta und die Sparkasse Minden-Lübbecke. Das Geld für den Sonderpreis (2000 Euro) kam vom Mindener Unternehmer Anton Dschida. Die im April 2016 bekannt gegebenen Preisträger hat eine mit Kulturexperten und Journalisten besetzte Jury ausgewählt. Diese tagt wieder im Herbst des kommenden Jahres.