Die Motoren brüllen! Kurz vor dem Start jagen alle Fahrer die Drehzahl ihrer Motorräder bis an den roten Bereich heran.
Die Anspannung vor dem Rennen ist nun am größten. Auch das Publikum fiebert dem Start entgegen. Dann springt die Ampel auf Grün, 40 Piloten lassen die Kupplung fliegen und ziehen den Gashahn auf Anschlag. In einem Nebel aus Lärm und Abgasen preschen sie der ersten Kurve entgegen. Manche überholen im Wheelie die Konkurrenz. Bis hoch in den vierten Gang ziehen sie die Maschinen vor der ersten Kurve. Mittendrin Martin Möhlenbrock aus Wietersheim, der für die Motorradfreunde Raderhorst e.V. an den Start ging.
Motorräder und Gespanne aus 50 Jahren Motorradgeschichte
Am 28. Mai, Pfingstmontag, röhrten die Motoren bei strahlendem Sonnenschein zum 55. Mal über die Rennstrecke im Fischereihafen in Bremerhaven. Motorsportbegeisterte Fans reisten aus ganz Europa an, um bei dieser Ausnahmeveranstaltung hautnah dabei zu sein. Motorradfahrer auf den unterschiedlichsten Maschinen traten in zehn verschiedenen Fahrzeugklassen gegeneinander an. So konnten die Zuschauer nicht nur moderne Zweiräder des 21. Jahrhunderts wie der BMW S1000RR beim Kurvenräubern zusehen. Ein besonderes Highlight beim Fischereihafen-Rennen sind sie Klassiker. Von den legendären Superbikes aus den 1980er und 1970er Jahren -vertreten durch Suzuki GSXR 750 und Honda Bol d`Or- bis hin zu den BSA Café Racern der 1960er Jahre, tobte alles über den 2670 Meter langen Parcours, was in der Zweiradmotorsport-Geschichte Rang und Namen hat. Darüber hinaus sorgten noch Supermotos und Seitenwagen bei den Zuschauern für Begeisterungsstürme. Neben den berühmten Motorrädern waren natürlich auch einige prominente Fahrer am Start. Die schnellste Frau Deutschlands, Nina Prinz, zum Beispiel oder „Mister Hayabusa“ (Elmar Geulen), der momentan sieben Weltrekorde hält. Egon Müller, der auch im Lindenau Stadion des SC Neuenknick Speedway-Rennen fuhr, hatte als Rennkommentator alle Renngeschehnisse im Blick.
Martin Möhlenbrock ging auf einer Suzuki RGV 250, Baujahr 1991 in Klasse Neun an den Start. Den giftigen Zweitakter hat der 41-jährige Bausachverständige in mühevoller Arbeit aufgebaut und für das Rennen eingestellt. Bei Trainingsläufen auf der Rennstrecke in Oschersleben hat er sich und die Suzuki optimal auf das Renngeschehen vorbereitet. Bereits im letzten Jahr ist er mit seiner Maschine in Bremerhaven gestartet. Ein Zweiter Platz im ersten und ein Sechster Platz im zweiten Rennen brachte er 2011 mit in die Heimat. Beste Voraussetzungen also, um in diesem Jahr ganz vorne um den Sieg zu fahren.
Fischkistenrennen, Heringstopf-Glitsche und Fischkoppraserei
Das seit 1952 veranstaltete Rennen gehört sicherlich mit zu den anspruchsvollsten Motorradrennen in Deutschland. Spitznamen, die die Fahrer der Veranstaltung gaben, wie „Heringstopf-Glitsche“, „Fischkoppraserei“ und „Fischkistenrennen“ veranschaulichen die Exklusivität, die es unter den Piloten genießt. In den 50er bis 70er Jahren wurden noch Fischkisten und Strohballen anstelle eines Kiesbettes verwendet, um die Folgen eines Sturzes abzumildern. Selbst heute sucht man weitläufige Auslaufzonen vergebens. Doch dank der guten Organisation, des Sicherheitskonzepts und der aufmerksamen Streckenposten, blieben die Stürze in 2012 ohne gröbere Folgen für Mensch und Material.
Aber auch das macht den Reiz dieser Veranstaltung aus. Wer hier an den Start geht, der muss seine Maschine beherrschen. Wenn die Fahrer auf dem Bremerhavener Hafengelände mit Geschwindigkeiten von über 200 km/h auf den Geraden und einem Rundendurchschnitt von über 110 km/h an den Zuschauern vorbeirasen, steigt der Adrenalinpegel ins Unermessliche. So nah dran wie hier, ist man heutzutage nur noch selten bei einer Motorsportveranstaltung.
Eine Runde mit Martin Möhlenbrock
Für den Hobbyrennfahrer „Möhle“ heißt es nach dem turbulenten Start nun Anbremsen. Zwei schnelle Tritte auf den Schalthebel und im zweiten Gang rechts in die Wellbrock-S-Kurve. Umrahmt von den Motorrädern der Konkurrenz geht es nun mit schleifender Kupplung durch die erste Schikane. Dann wieder Vollgas vorbei an einem der vier Fahrerlager. Vor der nächsten Kurve wird eine Kawasaki ZXR400 auf der Bremse stehengelassen, nur um dann mit dem linken Knie am Boden wieder das Gas aufzuziehen. Die RGV richtet sich auf und beschleunigt auf der langgezogenen Geraden auf fast 150 km/h. Eine Suzuki SV650 zieht dennoch an ihr vorbei. Knapp unter der Fußgängerbrücke, die zu den Verkaufsständen der Händlermeile führt, geht es in die Caphorn-Schikane, die von zwei Festzelten gesäumt wird. Vorsichtig Gas weg und sachte durchschlüpfen. Sofort wieder Gas auf, der V2-Zylinder schreit wie am Spieß. Zwei MZ Skorpion sehen nur noch Möhlenbrocks Rennhöcker. Mit Gefühl abbremsen und runterschalten jetzt, wo es in die lange Doppellinks geht. Die Maschine sauber auf Zug halten, um im Scheitelpunkt der Laola-Kurve wieder zu beschleunigen und bis in den vierten Gang hochzuschalten. Die Händlermeile vor Augen, bremst Martin Möhlenbrock jetzt vehement ab, damit er die Lunedeich-Schikane optimal erwischt. . Erst leicht links, dann leicht rechts und mit dem Knie am Boden hart rechts die Kurve geschnitten. Raus auf die kurze Gerade jetzt zur Kutterkehre. Ende Drehzahl, zweiter Gang. Ganz von außen muss diese Kurve angefahren werden, nur Millimeter an den Strohballen vorbei, um nach innen wegzutauchen, damit am Scheitelpunkt wieder beschleunigt werden kann. Beim Herausbeschleunigen bäumt sich der kleine Zweitakter auf, als wäre er ein Pony, das gerade eingeritten wird. Nun geht es mit Vollgas auf die Campingplätze zu. Kurz auf die Bremse, die Gashand schnell gelupft, durch die Campingplatz-Schikane wenige Meter vor der Coca Cola-Kurve. Das linke Knie am Boden, den Blick immer auf den Kurvenausgang und das Heck des Vordermanns gerichtet. Jeder Fehler des Gegners kann schließlich eine bessere Platzierung bedeuten. Ungestüm preschen die Rennfahrer auf die schwierige Doppellinkskurve zu. Die vorletzte Kurve vor Start und Ziel verlangt ein hartes Bremsmanöver und eine besonnene Gashand, ansonsten droht der sichere Sturz. Eine Aprilia RS125 am Kurvenausgang hinter sich lassend, gibt der Wietersheimer seiner RGV 250 erneut die Sporen. Nur noch ein kurzer Weg, schon ist die FBG-Kurve erreicht, durch die Martin Möhlenbrock elegant hindurchgleitet. Auf der Geraden heißt es wieder zusammenkauern hinter die zierliche Verkleidung, bis in Gang Fünf hochschalten und mit allen Drehzahlreserven Richtung Start/Ziel-Linie rasen.
Nach knapp 1 Minute 47 Sekunden ist eine Runde vorbei. Nur noch zehn Runden zu fahren. Martin hängt sich rein. Am Ende kann er im ersten Lauf Platz 19 und im zweiten Lauf Platz 20 belegen. Kein Grund den Kopf hängen zu lassen. Bei 40 Startern ist das Mittelfeld für einen Hobbyfahrer eine respektable Leistung. Wenn die Gesundheit hält, wird Martin Möhlenbrock im nächsten Jahr wieder beim Bremerhavener Fischereihafen-Rennen starten und zusammen mit all den anderen Zweirad-Haudegen um den Sieg fahren.
Bildquelle: Privat und Pressestelle Fischereihafenrennen Bremerhaven
VIDEO: Start Fischereihafenrennen Bremerhaven