Internationale Anerkennung für die manuelle Glasfertigung als Kulturerbe?

Glasbläser
Foto: Kevin Campbell / Pixabay

Petershagen (lwl). Seit 2015 ist die manuelle Fertigung von mundgeblasenem Hohl- und Flachglas als Immaterielles Kulturerbe in Deutschland anerkannt. Jetzt wurde das traditionelle Handwerk neben zwei weiteren Kulturformen von den staatlichen Stellen für das UNESCO-Erbe der Menschheit nominiert und soll damit weltweite Anerkennung finden. Neben Deutschland sind Finnland, Frankreich, Spanien, Tschechien und Ungarn an der Bewerbung beteiligt. Der zuständige Ausschuss der UN-Organisation entscheidet voraussichtlich Ende 2023 über die Anträge.

„Für die Community der Glasmacherinnen und Glasmacher ist diese Bewerbung eine enorme Anerkennung ihres Könnens“, sagt Dr. Katrin Holthaus, Leiterin des LWL-Industriemuseums Glashütte Gernheim. Das Museum des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) gehört zur Gemeinschaft, die die Bewerbung vorantreibt. „In der Regel benötigt man etwa zehn Jahre, um die heißen Techniken der Glasbearbeitung zu beherrschen. Allein diese lange Lehrzeit lässt ahnen, wie groß auch die individuelle Leidenschaft für das Handwerk ist“, ergänzt Glasmacher Korbinian Stöckle.

Mit der Einreichung der Bewerbung soll der Erfahrungsschatz dieses Handwerks gewürdigt werden. Darüber hinaus beabsichtigen die beteiligten Institutionen, Maßnahmen zur Erhaltung der manuellen Glasfertigung auf nationaler und internationaler Ebene voranzutreiben.

Bei mehreren internationalen Treffen hatten Glasmacher:innen, Vertreter:innen von Glashütten, Fachschulen als ausbildende Institutionen, Hochschulen und Museen gemeinsam Strategien zur Erhaltung der manuellen Glasfertigung entwickelt. Sie zielen vor allem auf eine Stärkung der Praxis ab. Das Wissen um die manuelle Glasfertigung in der Hütte lässt sich nur ansatzweise theoretisch vermitteln. Entscheidend bei der Weitergabe des Könnens ist die Arbeit am Ofen: Heißes Glas wird mit einer Glasmacherpfeife dem Ofen entnommen, es hat etwa 900 Grad und ist zähflüssig. Bei der Verarbeitung folgt es der Schwerkraft. Unter stetigem Drehen, Wiedererwärmen und Aufblasen wird es mit Werkzeugen von der Kugel zu einem Hohl- oder Flachglas ausgearbeitet. Hierbei greifen die Glasmachenden auf einen immensen Erfahrungsschatz zurück, der von der Einschätzung der richtigen Temperatur des Glases bis zum Erspüren der Zähigkeit ihres Werkstoffes reicht.

Hintergrund

Seit 2015 ist die manuelle Fertigung von mundgeblasenem Hohl- und Flachglas in Deutschland als Immaterielles Kulturerbe anerkannt. Sie ist eine Jahrtausende alte kulturelle Ausdrucksform, die in bestimmten Regionen und „Orten punktueller Industrie“ betrieben wurde und dort oft kulturprägend wirkte. Glasmacher:innen üben das Handwerk in einer epochenübergreifenden Praxis aus mit kaum veränderten Werkzeugen (Glasmacherpfeife, Zwackeisen, Glasmacherschere, Holzformen und Wulgerlöffel). International existieren noch drei Hütten, die Flachglas im Mundblasverfahren herstellen. Vereinzelt arbeiten Glasmacher:innen in Industrieglashütten zur Fertigung von Kleinserien oder Unikaten. In den vergangenen Jahren produzierten international zunehmend kleine Hohlglashütten im Mundblasverfahren. Daneben entstehen die kunstgewerblichen oder künstlerisch ausgerichteten Glasstudios, die sich vor allem der ambitionierten Gestaltung von Unikaten und Kleinserien widmen. Bis zu einer routinierten technischen Reife benötigen die Glasmacher:innen etwa zehn Jahre.

Das immaterielle Kulturerbe

Zum Immateriellen Kulturerbe zählen lebendige Traditionen aus den Bereichen Tanz, Theater, Musik, mündliche Überlieferungen, Naturwissen und Handwerkstechniken. Seit 2003 unterstützt die UNESCO den Schutz, die Dokumentation und den Erhalt dieser Kulturformen. Bis heute sind 180 Staaten dem Übereinkommen zur Erhaltung des Immateriellen Kulturerbes beigetreten. Deutschland gehört dem Vertrag seit 2013 an.

Einzelne Elemente aus den nationalen Verzeichnissen der Vertragsstaaten können für eine von drei internationalen UNESCO-Listen des Immateriellen Kulturerbes vorgeschlagen werden. Dazu gehören etwa die Saunakultur in Finnland und der Reggae aus Jamaika. Im vergangenen Jahr wurde das Bauhüttenwesen auf Vorschlag von Frankreich, Norwegen, Österreich, der Schweiz und Deutschland in das internationale UNESCO-Register guter Praxisbeispiele zum Erhalt Immateriellen Kulturerbes aufgenommen.

Ein Ausschuss der UN-Kulturorganisation entscheidet jährlich über die Aufnahme neuer Kulturformen in die UNESCO-Listen des Immateriellen Kulturerbes. Das Gremium setzt sich aus 24 gewählten Vertragsstaaten der Konvention zusammen.