Kreis Minden-Lübbecke/Westfalen-Lippe (lwl). Die Corona-Krise ist für viele Menschen mit Behinderungen in Arbeit eine besondere Herausforderung, so der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) als einer der größten Hilfeträger Deutschlands. Steigende Arbeitslosenzahlen unter Menschen mit Behinderungen, massiver Umsatzausfall bei Inklusionsbetrieben und geschlossene Werkstätten prägten seit März das Bild, auch wenn seit dem 21. September die Werkstätten für Menschen mit Behinderung wieder weitgehend zum Normalbetrieb zurückkehren. Unterstützungsprogramme laufen an, berichtet der LWL in Münster.
„So wie wir als Gesellschaft anderen Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt helfen, müssen wir jetzt auch die Menschen mit Behinderungen und ihre Betriebe eine Zeit lang stützen“, sagt LWL-Sozialdezernent Matthias Münning. Dazu hätten das Land NRW und der Bund Unterstützungsprogramme aufgelegt. Münning: „Wir bringen die Hilfen an die richtigen Stellen und zu den Menschen.“ Das Land wird die Betriebe in Westfalen-Lippe mit 4,5 Millionen, der Bund voraussichtlich mit zehn Millionen Euro unterstützen.
Arbeitslosenzahl rasant um über zehn Prozent gestiegen
Die Zahl der arbeitslosen Menschen mit Behinderung ist coronabedingt seit Ende Februar in Westfalen-Lippe rasant von knapp 23.000 um über zehn Prozent auf rund 25.500 gestiegen. Im Kreis Minden-Lübbecke stieg die Zahl in dieser Zeit von 496 auf 556.
„Dieser enorme Anstieg der Arbeitslosenzahlen macht uns große Sorge. Denn hinter jedem Einzelfall steht das Schicksal eines Menschen“, sagt Münning. „Für Menschen mit Schwerbehinderung ist es viel schwerer, ins Arbeitsleben zurückzufinden. Da ist unser ganzes Engagement gefragt. Der LWL setzt sich mit allen denkbaren Instrumenten ein.“ So hätten die bisherigen Anstrengungen der Landschaftsverbände dafür gesorgt, dass mehr Menschen auf dem Arbeitsmarkt Beschäftigung finden statt in den Werkstätten zu arbeiten. Münning: „Das Land NRW hat uns bestätigt, dass durch unsere Arbeit der Zuwachs bei den Werkstatt-Beschäftigten um 50 Prozent niedriger ausgefallen ist als ohne unsere Arbeit.“
Arbeitsverträge nicht verlängert
Die bislang 151 Kündigungen, die einen Bezug zur Pandemie hatten, stellten auf dem westfälischen Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderungen nur einen kleinen Anteil an der sprunghaft gestiegenen Arbeitslosenzahl dar. „Viel stärker wirkte sich aus, dass befristete Arbeitsverträge, die ausgelaufen sind, nicht verlängert wurden oder junge Menschen mit Behinderung nach ihrem Ausbildungsabschluss nicht übernommen wurden. Außerdem haben viele Unternehmen geplante Einstellungen nicht durchgeführt oder Saisonarbeitskräfte nicht eingestellt“, erklärt Hartmut Baar vom LWL-Inklusionsamt Arbeit. Aber auch die Zahl der Insolvenzen und der Teilbetriebsschließungen und die damit verbundenen betriebsbedingten Kündigungen nähmen zu, so der Fachmann.
Die coronabedingten Kündigungen verteilen sich dabei relativ gleichmäßig über gesamt Westfalen-Lippe, 59 der Kündigungen resultieren aus coronabedingten Betriebsstilllegungen. Auch diese Betriebsstilllegungen verteilen sich sowohl über ländlich als auch städtisch geprägte Regionen.
Auch Inklusionsbetriebe von der Krise betroffen
Die 170 westfälischen Inklusionsbetriebe und Abteilungen (davon sieben im Kreis Minden-Lübbecke) sind unterschiedlich von der Corona-Pandemie betroffen. „Das hängt sehr von der jeweiligen Branche ab. Während Inklusionsabteilungen und Garten- und Landschaftsbaubetriebe zum Beispiel weniger betroffen sind, hat es die Betriebe in der Hotellerie und Gastronomie stark erwischt. Sie mussten lange schließen und hatten deshalb einen fast kompletten Umsatzausfall, die Fixkosten wie Mieten und Löhne liefen aber weiter“, so Baar. „Die Inklusionsbetriebe haben sehr kreativ und engagiert auf die Krise reagiert. Im Ergebnis hat es hier bis heute fast keine betriebsbedingten Kündigungen gegeben, dass ist ein sehr großer Erfolg.“ Die Betriebe benötigten weiter dringend Unterstützung.
Um die entstandenen finanziellen Lücken zu füllen, haben rund die Hälfte der Inklusionsbetriebe Kurzarbeitergeld und Liquiditätshilfen beantragt. Um Zahlungsprobleme zu vermeiden, hat das LWL-Inklusionsamt Arbeit den Betrieben angeboten, laufende Zuschüsse früher auszuzahlen. Diese Möglichkeit haben die meisten Betriebe genutzt. Nur ein Drittel der Inklusionsbetriebe können von den Rettungsschirmen profitieren, die Bund und Land für kleine und mittlere Unternehmen mit bis zu 50 Beschäftigten aufgespannt haben. Denn viele Inklusionsunternehmen sind von Unternehmen der Wohlfahrtspflege gegründet worden und gehören deshalb als „verbundene Unternehmen“ zum Gesamtunternehmen, das deutlich mehr als 50 Beschäftigte hat.
Das Land NRW habe darauf reagiert und es ermöglicht, dass auch Inklusionsunternehmen, die in Folge der Corona-Pandemie unverschuldet in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten sind, unterstützt werden können. „Gemeinsam mit ihren rheinischen Kollegen und dem NRW-Sozialministerium haben die Fachleute aus unserem Inklusionsamt Arbeit die Förderrichtlinien entwickelt, in Zusammenarbeit mit der Handwerkskammer Münster beraten sie westfälische Inklusionsbetriebe und bearbeiten die Anträge“, so Münning. Neben diesem Landesprogramm erarbeitet das Bundessozialministerium ein Förderprogramm, das die betroffenen Inklusionsbetriebe ebenfalls unterstützt. Für Westfalen-Lippe soll vom Bund ein Betrag von rund zehn Millionen Euro zur Verfügung stehen.
„Die Inklusionsbetriebe sind für Menschen mit Behinderung im allgemeinen Arbeitsmarkt besonders wichtig. Sie schaffen Arbeitsplätze für Menschen, die sonst kaum eine Chance hätten“, erläutert Münning. „Die wirtschaftliche Situation der Inklusionsbetriebe in den Bereichen Hotel, Gaststätten und Catering wird sich in den kommenden Monaten noch verschärfen. Deshalb sind wir für die Corona-Programme dankbar, die Bund und Land aufgelegt haben, um unsere Inklusionsbetriebe, dieses wichtige Element auf dem Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderung, zu stärken“, so Münning.
„Corona macht doppelt Angst“
„Trotz aller finanzieller Probleme dürfen wir aber nicht die Mitarbeiterinnen in den Unternehmen aus dem Blick verlieren: Corona macht manchen doppelte Angst. Vor allem viele Menschen mit einer psychischen Beeinträchtigung sind sehr verunsichert, weil sie nicht nur Angst um ihren Arbeitsplatz haben, sondern auch vor Infektionen oder weil sie vor der Aufgabe stehen, neue Abstands- und Hygieneregeln sowie neue Kommunikationswege zu erlernen und einzuhalten“, sagt Münning. „Die Integrationsfachdienste, die in Westfalen-Lippe in allen Regionen im Auftrag des Landschaftsverbandes tätig sind, stehen hier den Menschen mit Behinderung und den Unternehmen zur Seite.“
Hintergrund: Inklusionsbetriebe
In Westfalen-Lippe arbeiten zurzeit 2.200 Menschen mit Behinderung in 170 Inklusionsbetrieben mit Menschen ohne Behinderung (Gesamtbelegschaft 4.300) zusammen.
Im Kreis Minden-Lübbecke bieten sieben Integrationsbetriebe 89 Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung.
Als Betriebe des allgemeinen Arbeitsmarktes müssen sie sich – wie jedes andere Unternehmen – mit ihren Produkten und Dienstleistungen am Markt behaupten. Die Betriebe sind dabei in unterschiedlichen Branchen tätig. Etwa 30 Prozent der Unternehmen sind in den Bereichen Gastronomie/Catering und Hotellerie tätig, gefolgt von den Bereichen industrielle Dienstleistungen und Handwerk. Weitere größere Branchen sind insbesondere Garten- und Landschaftsbau, Einzelhandel, Wäschereien und Gebäudereinigung.
Werkstätten für behinderte Menschen wieder im Normalbetrieb
Die 62 Werkstätten für behinderte Menschen in Westfalen haben seit dem 21. September wieder im „Normalbetrieb“ geöffnet. Das heißt: Die rund 38.000 Menschen mit Behinderung (Kreis Minden-Lübbecke: rund 2.900 Menschen mit Behinderung in drei Werkstätten) können jetzt wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren und so ihr „Recht an Teilhabe am Arbeitsleben“ wahrnehmen.
Die Werkstätten waren in der Zeit vom 18. März bis 10. Mai geschlossen, danach fuhren sie den Betrieb langsam wieder hoch. „Die Werkstätten haben in dieser Öffnungsphase gezeigt, dass sie gute Konzepte hinbekommen, um Menschen in den Werkstätten auch während der Pandemie zu betreuen. Die Erfahrungen zeigen, dass dieses in den meisten Fällen auch gut gelingt“, so Münning.
Um den Betrieb in den Werkstätten coronagerecht zu gestalten, haben sie beispielsweise Einbahnstraßen in der Wegeführung eingerichtet, Arbeitsplätze mit Plexiglasscheiben getrennt und Tagungsräume oder Sporträume genutzt, um den nötigen Abstand zwischen den Beschäftigten zu schaffen. „Das ist keine einfache Aufgabe, da ist eine ganze Menge Logistik und Sachverstand notwendig. Den haben die Kolleginnen und Kollegen in den Werkstätten. Es sind Spezialisten in der Arbeitsvorbereitung und Arbeitsgestaltung“, so Baar. Es gebe aber noch „unterschiedliche Geschwindigkeiten“ in den Werkstätten: „Die allermeisten Menschen mit Behinderung wollen an ihren Arbeitsplatz zurückkehren, deshalb war es wichtig, dieses gemeinsame Ziel zu formulieren und nun umzusetzen.“
Sollte es bei einzelnen Beschäftigten noch Schwierigkeiten geben, wieder unmittelbar in die Werkstatt zu gehen, will das LWL-Inklusionsamt gemeinsam mit den Beteiligten individuelle Lösungen finden. „Ziel dieser Lösungen ist es, dass auch diese Beschäftigten mittelfristig wieder regelmäßig und vollständig in der Werkstatt arbeiten können. Das können Lösungen sein, die in der Werkstatt stattfinden oder mit der Werkstatt zusammenhängen. Da können zum Beispiel Teilzeitlösungen herauskommen. Wichtig ist, dass die Betroffenen wirklich die sogenannte Teilhabe am Arbeitsleben bekommen“, so Münning. Der LWL-Sozialdezernent geht nach den ersten Öffnungstagen der Werkstätten davon aus, dass für rund zwei Prozent der Menschen mit Behinderung solche individuellen Lösungen gefunden werden müssen.