Interessen internationaler Konzerne vorangestellt

Berlin. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat die Bundesregierung scharf für ihre Umwelt-, Verbraucher- und Klimapolitik im Jahr 2016 kritisiert. Die beiden Bundesgeschäftsführer der DUH, Sascha Müller-Kraenner und Jürgen Resch, warfen dem Kabinett von Angela Merkel Totalversagen beim Klimaschutz, Kumpanei mit den Konzernen und Aushöhlung des Verbraucherschutzes vor. Sie bezeichneten die zu Ende gehende Legislaturperiode als vier verlorene Jahre und eine Zeit der umwelt- und klimapolitischen Stagnation. Im Rahmen ihrer Jahresrückschau in Berlin präsentierte die Umwelt- und Verbraucherschutzorganisation ihren aktuellen Jahresbericht ( http://l.duh.de/2sciw ) und stellte die für die Organisation wichtigen Themen für 2017 vor.

 

Die zentrale Frage „Wer regiert das Land?“ beantwortete DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch anhand von drei Beispielen aus der Automobilindustrie, der Getränkewirtschaft und der chemischen Industrie. Über ein Jahr nachdem die Abgasmanipulationen bei Diesel-Pkw bekannt geworden sind, verweigert die Bundesregierung Millionen betroffenen Bürgern immer noch jegliche Hilfe bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche und Nachbesserung der Abgasreinigung bei Betrugs-Diesel-Fahrzeugen.

 

Die DUH führt zehn Rechtsverfahren gegen Alexander Dobrindt, den die Organisation als „Vertreter der Automobilindustrie im Bundeskabinett“ bezeichnet. Darin sowie durch eigene Abgasmessungen im 2016 neu gegründeten „Emissions-Kontroll-Institut“ enthüllte die DUH bei nahezu allen Autobauern illegale Abschalteinrichtung bei Außentemperaturen unterhalb von plus zehn Grad Celsius. Gerade im Winterhalbjahr leiden hunderttausende Menschen an Asthma, Kreislaufbeschwerden und chronisch obstruktiver Lungenerkrankung als Folge der durchschnittlich 15-fach erhöhten, giftigen Stickoxid-Dieselabgase.

 

Gegen den Widerstand von Bundes- und Landesregierungen sowie der mit ihnen verbundenen Autoindustrie muss die DUH auch die seit 2010 geltenden Luftqualitätsnormen durchsetzen. In 16 Einzelklagen gegen sechs Bundesländer klagt die DUH für „Saubere Luft in unseren Städten“. Mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom September 2016 und der erfolgreichen Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht rechnet die DUH mit Fahrverboten für Diesel-Pkw ab Januar 2018.

 

„Diese Bundesregierung schützt ihre Bürger nicht vor giftigen Pkw-Abgasen und toleriert den Betrug einer ganzen Branche, der die Kunden, die Umwelt und unsere Gesundheit teuer zu stehen kommt. Sie ist längst zu einem Erfüllungsgehilfen der drei großen Automobilkonzerne Daimler, Volkswagen und BMW geworden, welche Gesetzesinhalte diktieren und die Kontrolle und Ahndung von Gesetzesverstößen verhindern“, sagte DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch.

 

Die Aufklärungsarbeit der DUH wird massiv bekämpft und behindert. Verkehrsminister Dobrindt verbietet Gespräche seines Ministeriums mit der DUH zum Thema Dieselgate. Die Daimler AG versuchte sogar über eine zwischenzeitlich aufgehobene „Einstweilige Verfügung“ des Landgerichts Berlin, die Veröffentlichung eines Drohschreibens an die DUH zu verhindern. Am vergangenen Donnerstag (8. Dezember 2016) hat nun auch das Landgericht Hamburg eine erneute Klage von Daimleranwalt Christian Schertz abgewiesen. Die chemische Industrie betreibt nach Einschätzung der DUH eine seit drei Jahren andauernde Schadenersatzklage wegen der Aufdeckung des Umstandes, dass Plastik-Tragetaschen aus BASF Bio-Kunststoffen regelmäßig nicht kompostiert werden.

 

Auch gegen die hohen Nährstoffbelastungen aus der Landwirtschaft, welche die Hauptursache für den schlechten Zustand vieler Flüsse, Seen, Küstengewässer und des Grundwassers in Deutschland sind, unternimmt die Bundesregierung nach Ansicht der DUH viel zu wenig. Hohe Nitratbelastungen führen zu einem gravierenden Verlust an biologischer Vielfalt sowie gesundheitlichen und volkswirtschaftlichen Schäden. Im Hinblick auf die gerade zu Ende gegangene UN-Biodiversitätskonferenz im mexikanischen Cancún müsse die Bundesregierung deshalb endlich gegen dieses gewaltige Umweltproblem aktiv werden, so die Forderung der DUH.

 

„Frau Hendricks hat im Sommer 2016 eine nationale Stickstoffstrategie angekündigt, um die hohe Nitratbelastung in Wasser, Luft und Boden zu senken. Die Agrarlobby und ihre Hilfstruppen im Bundeslandwirtschaftsministerium blockieren bisher jedoch jeglichen Fortschritt. So wurde die Verabschiedung der seit Jahren diskutierten Düngeverordnung erneut verschoben. Inzwischen hat die Europäische Kommission deswegen Ende Oktober 2016 gegen Deutschland wegen Verletzung der europäischen Nitratrichtlinie Klage eingereicht“, erklärte DUH-Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner.

 

Müller-Kraenner kritisierte außerdem, dass beim Klimaschutz internationale Bekundungen der Bundesregierung und mangelndes Handeln zuhause in Deutschland frappant auseinanderklaffen. Nachdem sich die USA unter dem designierten Präsidenten Trump nach Meinung von Müller-Kraenner wahrscheinlich aus der internationalen Klimaschutzpolitik verabschieden werden, sei es umso wichtiger, dass Europa weiter vorangeht. „Für die Bundesregierung bedeutet dies: Raus aus der Kohle und zwar schnell. Gleichzeitig muss sie ihren nur mit Mühe vor der Klimaschutzkonferenz in Marrakesch auf den Weg gebrachten Klimaschutzplan deutlich nachbessern. Wir brauchen ein Klimaschutzgesetz mit rechtlich verbindlichen Zielen für alle Bereiche von Wirtschaft und Gesellschaft“, so Müller-Kraenner weiter.

 

Kritik an Barbara Hendricks kam auch von Müller-Kraenners Amtskollege, Jürgen Resch: „Die Umweltministerin will das über Jahrzehnte aufgebaute Mehrwegsystem in Deutschland den Interessen der einwegorientierten Getränkekonzerne wie Coca-Cola opfern. Sie geht nach 25 Jahren Mehrwegschutz als erste Umweltministerin vor der Einweg-Lobby in die Knie und will die Mehrwegquote ersatzlos streichen. Es wäre ihre Aufgabe, das derzeit noch größte und intakteste Mehrwegsystem der Welt vor den Interessen der großen Handels- und Getränkekonzerne zu schützen.“

 

Die DUH werde versuchen, das geplante Verpackungsgesetz notfalls über den Bundesrat zu verhindern. Ziel müsse es sein, den Einwegtrend umzukehren und die insgesamt 150.000 „grünen“ Arbeitsplätze in der mittelständisch geprägten und überwiegend mehrwegorientierten Getränkewirtschaft zu erhalten. Resch erklärte außerdem, die Aktivitäten der DUH im ökologischen Verbraucherschutz weiter auszuweiten. Für den Jahresbeginn 2017 kündigte die DUH die Veröffentlichung neuer Untersuchungen über die Art des Betrugs bei den zunehmend falschen CO2- und damit Spritverbrauchsangaben an.

 

Bildquelle: Sascha Krautz / DUH